Bielefeld – Wenn Marvin Wrona vom frühen Start um 5:30 Uhr im Kiosk am Siggi erzählt, klingt das nicht nach Pflicht, sondern nach Ankommen. „Obwohl ich kein Frühaufsteher bin, habe ich mich sogar darauf gefreut“, sagt der 18-Jährige, der sein Freiwilliges Soziales Jahr (FSJ) im Kiosk am Siggi und in der Kontaktstelle LebensRäume der GfS verbrachte – an einem Ort, wo der Duft von Kaffee mit vertrauten Stimmen verschmilzt.
Ein FSJ wollte er machen. Erst dachte er an ein Betheljahr in einer Einrichtung für Autisten. Doch dann stieß sein Vater zufällig im Internet auf die Seite der GfS – und auf den Kiosk am Siggi. „Ich kannte den Kiosk, hab das gelesen, auch von der Kontaktstelle – und dachte: mega. Besser geht’s ja fast gar nicht.“
Mehr als ein normaler Kiosk
Der Kiosk am Siggi ist kein gewöhnlicher Verkaufsstand. Er ist Treffpunkt und Knotenpunkt im Bielefelder Westen – und ein Arbeitsort für Menschen, die wegen gesundheitlicher Einschränkungen keinen Platz auf dem regulären Arbeitsmarkt finden. Marvin verkauft hier nicht nur Zeitungen und Kaffee. Er hört zu. Er lernt. Er ist Teil eines professionellen Teams mit bis zu 15 Teilnehmern, betreut von zehn pädagogischen Fachkräften und Studenten.
Dass einige Teilnehmer Erfahrungen mit Sucht oder Psychiatrie haben, war für ihn kein Thema. „Wir waren einfach ein Team“, sagt er. Die Selbstverständlichkeit, mit der dort zusammengearbeitet wird, hat ihn nachhaltig geprägt – genauso wie die Gespräche mit Stammkunden im Kiosk und in der Kontaktstelle, wo gekocht, gespielt, geredet – und vor allem: Kaffee ausgeschenkt wird. „Ohne Kaffee läuft im Kiosk und in der Kontaktstelle gar nichts“, sagt Marvin und lacht.
Was ihm besonders gefallen hat? „Der Umgang mit Menschen war total bereichernd. Auch die praktische Arbeit hat richtig Spaß gemacht – so abwechslungsreich, dass die Zeit wie im Flug verging.“
Arbeitsalltag in der Kontaktstelle
Dienstagmorgens beginnt der Tag mit der Teamsitzung, dann geht es zur Bielefelder Tafel, um Lebensmittelspenden abzuholen. Später kommen die Besucher: Menschen mit Brüchen im Lebenslauf, mit Geschichten, die oft übersehen werden – nicht aber hier. „Viele waren erst sehr zurückhaltend. Aber wenn jemand am Montagabend auf der offenen Kunstbühne ein Lied oder Gedicht vorgetragen hat – das war richtig stark“, erinnert sich Marvin.
Zwischen Alltag und Erkenntnis
Ein Gespräch mit einem Stammkunden ist ihm besonders in Erinnerung geblieben. „Er hat mir erzählt, wie er erst mit der Zeit das gefunden hat, was ihn wirklich erfüllt.“ Für Marvin war das ein Schlüsselmoment. „Ich habe gelernt, dass es darauf ankommt, etwas zu tun, das man liebt – und das auch anderen etwas gibt.“
Für ihn war dieses Jahr nicht nur eines zwischen Milchkännchen und Menschlichkeit – sondern eines der Klärung. Soziale Arbeit? Vielleicht. Doch letztlich entschied er sich für das Handwerk. Maler und Lackierer will er werden – ein Beruf, bei dem er mit Menschen zu tun hat und – wie in der Kontaktstelle – Räume gestaltet, in denen sich andere wohlfühlen können.
Laternen, Leben und Verantwortung
Auch Alexander Jijani Vogt hat sein FSJ bei der GfS gemacht – allerdings an einem ganz anderen Ort: im Familienzentrum Kinderhaus Am Alten Dreisch. Für ihn war es ein Heimspiel – im wörtlichen Sinne. Er wohnt direkt nebenan und hatte dort bereits als Schüler ein Praktikum absolviert.
Im Kinderhaus arbeitete er nicht nur mit den Kindern, sondern war auch bei abteilungsübergreifenden Aktionen dabei. Die Vielseitigkeit hat ihm die Augen geöffnet: „Ich habe gelernt, dass der Beruf als Erzieher viel anspruchsvoller ist, als viele denken. Es geht nicht nur ums Spielen – man braucht Geduld, Organisationstalent und übernimmt viel Verantwortung.“ Und dann sind da die vielen kleinen Dinge: ein tröstendes Wort, ein festes Ritual, ein gemeinsamer Laternenumzug.
Ein Moment ist ihm besonders im Gedächtnis geblieben: das Laternenfest im Herbst. „Zu sehen, wie meine Idee wirklich umgesetzt wurde – das war ein richtig schöner Moment.“
Berufswunsch mit Substanz
Alexander wusste schon vorher, dass er „etwas Sinnvolles“ machen wollte. Nach dem FSJ ist er sich sicher: Der soziale Bereich ist sein Weg. Im kommenden Schuljahr beginnt er die Ausbildung zum Erzieher.
Ein FSJ empfiehlt er besonders Menschen, die noch unentschlossen sind, wohin es beruflich gehen soll: „Man bekommt einen echten Einblick, sieht, wie es hinter den Kulissen läuft – das ist ganz anders, als nur darüber zu lesen oder zu hören.“
Zwischen Kaffee, Kinderlachen und Kunstbühne
Beide jungen Männer haben in ihrem FSJ mehr gefunden als nur eine Übergangslösung. Sie haben Verantwortung übernommen, viel über sich selbst gelernt und waren Teil eines Teams. Zwischen Kaffee, Kinderlachen und Kunstbühne haben sie etwas erlebt, das kein Lehrbuch vermitteln kann: den echten Arbeitsalltag – und wie sie, wie Marvin es nennt, „einen positiven Unterschied“ im Leben anderer machen können.
Die GfS bietet jährlich Plätze für ein Freiwilliges Soziales Jahr oder den Bundesfreiwilligendienst an – an unterschiedlichen Orten, aber mit einem gemeinsamen Ziel: Menschen mit Menschen zu verbinden. Marvin und Alexander zeigen, wie viel daraus wachsen kann.