Die Pension Plus feiert Geburtstag

Schon seit 16 Jahren gibt es das Wohnprojekt. Coronabedingt konnte das 15-Jährige nicht gefeiert werden. Das soll aber 2022 nachgeholt werden.

„Ohne die Pension Plus wäre ich aufgeschmissen gewesen“, sagt Sören W. Fast zwei Jahre lang war das Wohnprojekt der GfS in Bielefeld-Schildesche sein Zuhause auf Zeit, dem er viel zu verdanken hat. Und deshalb freut er sich auch schon auf den 29. Juli, wenn das 15- bzw. 16-jährige Bestehen groß gefeiert werden soll. „Wir planen einen Verwöhntag für unsere Klienten und Mitarbeitenden“, sagt Nadine Schmerbach, Bereichsleitung Wohnen Plus. „Es soll ein Tag des Miteinanders werden, an dem sie es sich gut gehen lassen können.“

2006 als Wohnprojekt gestartet, ist die Pension Plus mittlerweile eine fest etablierte Einrichtung in der Stadt. Drei Etagen in einer von der BGW umgebauten Häuserzeile an der Beckhausstraße, 12 möblierte Appartements als persönlicher Rückzugsort, jeweils mit Bad, dazu ein Gemeinschaftsraum mit Küche und ein Wohn- und Fernsehzimmer mit Zugang zum Garten: Die Pension Plus stellt erwachsenen, langjährig psychisch erkrankten und / oder suchtkranken wohnungslosen Menschen aus Bielefeld bedarfsgerechten Wohnraum zur Verfügung. „Der jeweilige Aufenthalt ist auf längstens zwei Jahre befristet“, sagt Markus Schneuing, Teamleiter der Pension Plus, der das Wohnprojekt seit Anfang an mitbegleitet und -gestaltet.

Über Umwege in der Pension Plus gelandet

Diese Zeit hat Sören W. fast komplett in Anspruch genommen. „Die habe ich auch gebraucht.“ Mittlerweile kommt der 33-Jährige nur noch zu Besuch. Entspannt lehnt er sich im Gartenstuhl hinter dem Haus zurück und nippt zwischendurch an seinem Pfefferminztee. Er hat sich bereit erklärt, über seine Erlebnisse zu sprechen. Denn der Bielefelder hat in den vergangenen Jahren einiges durchgestanden.

Nach seinem Hauptschulabschluss ist er im Alter von 18 Jahren von zu Hause ausgezogen. Fünf Jahre lang lebte er in einer Wohnung in der Bielefelder Innenstadt. Nachbarschaftsstreitigkeiten, eine toxische Beziehung zu seiner damaligen Freundin – eines führte zum anderen. Er hatte psychische Probleme, griff viel zur Flasche und verlor seine Wohnung. Es folgte ein Aufenthalt in Gilead IV in Bethel, anschließend lebte er in der Unterkunft für wohnungslose Männer an der Kreuzstraße. Eine Sozialarbeiterin vermittelte den Termin für das Kennenlerngespräch mit Markus Schneuing. Sören W.s Name wurde auf die Warteliste gesetzt – und im Juni 2020 konnte der junge Mann schließlich einziehen.

Gemeinsam wird eine Perspektive entwickelt

„Es geht in der Pension Plus nicht darum, Wurzeln zu schlagen“, sagt Nadine Schmerbach. Vielmehr ermittelt das Team aus fünf hauptamtlichen Mitarbeitenden den individuellen Hilfebedarf jedes und jeder Einzelnen und versucht gemeinsam mit den Klienten, eine tragfähige Perspektive zu erarbeiten, um die Wohnungslosigkeit zu überwinden: Wie kann es nach der Zeit in der Pension Plus für die Person weitergehen? „Wir schauen, was möglich ist“, antwortet Schneuing.

Und das sehr individuell, mit Feingefühl, Zuwendung, Toleranz, Offenheit, mit Humor und viel Herz. Denn das Team hat es mit sehr unterschiedlichen Biografien und mit Menschen in schwierigen Lebenslagen am Rande der Gesellschaft zu tun. „Sie sind nicht generell sozial unfähig“, betont Nadine Schmerbach. „Man hat versucht, sie in ein System zu drängen, in das sie nicht reinpassen.“ Und so finden sich unter den Klienten Einzelkämpfer, die die eigene Existenz gefährdende Situationen nur zu gut kennen. Wie Sören W. kommen manche aus den Bielefelder Unterkünften für Wohnungslose in die Pension Plus, andere haben zum Beispiel eine Weile ganz allein im Wald oder auf der Straße gelebt.

Oft geht es erst einmal darum, das Überleben zu sichern

Derzeit ist die jüngste Klientin 24 Jahre alt, aber es sind auch schon Klienten aus der Pension Plus in ein Altenpflegeheim gezogen. Viele haben schon schlechte Erfahrungen mit dem Hilfesystem gesammelt. „Manche haben große Ängste und ebenso großes Misstrauen, andere können nicht gut mit Autoritäten umgehen.“

Angekommen in der Pension Plus, geht es oft erst einmal um die das Überleben sichernden Basics, sagt Markus Schneuing: „Dass unsere Klienten regelmäßig essen und eine warme Mahlzeit am Tag zu sich nehmen zum Beispiel. Oder dass sie ihre Kleidung regelmäßig wechseln und waschen.“ Dinge, die für viele alltäglich sind, können sich für manche der Klienten als Herausforderung entpuppen.

Team setzt auf individuelle Beziehungsarbeit

„Wir flankieren“, fasst Nadine Schmerbach zusammen. Täglich von 8 Uhr morgens bis 24 Uhr in der Nacht, auch an den Wochenenden, ist jemand da und ansprechbar. Dabei unterstützen zehn Kolleginnen und Kollegen in Teilzeit. Darunter sind auch Studenten. Und manche der zehn Kolleginnen und Kollegen arbeiten bereits seit 2006 in der Pension Plus. Das Team hilft unter anderem, Krisen zu bewältigen, unterstützt bei der Schuldenregulierung, begleitet Klienten zum Arzt und unterstützt bei der Reinigung der Appartements.

Um die teilweise massiven Widerstände gegen die Hilfe abbauen zu können, leistet das Team viel individuelle Beziehungsarbeit und versucht, sich Vertrauen zu erarbeiten. Dabei hat es aber immer im Blick, welchen Bedarf der oder die Einzelne gerade hat. „Wir können auch gut erst einmal in Ruhe lassen, wenn das notwendig ist“, sagt Schneuing. „Hier darf man sein, wie man ist.“

Probewohnen im Appartement 2.0

Das kann Sören W. bestätigen. Er habe sich bei den Betreuern und Betreuerinnen immer gut aufgehoben gefühlt. Auch wenn es anfangs nicht einfach für ihn gewesen sei, die Hilfe des Teams anzunehmen. „Ich war sehr verschlossen und zurückgezogen“, erinnert er sich. Aber mit der Zeit entstand Vertrauen. „Sie haben mit viel Herzblut um mich gekämpft. Dafür bin ich allen bis heute sehr dankbar. So konnte ich wieder Fuß fassen.“ Und auch Markus Schneuing spricht rückblickend von einer „guten Zusammenarbeit“.

Deshalb konnte Sören W. auch einen Großteil seines Aufenthalts in der Pension Plus im Appartement 2.0 verbringen. „Das ist unsere Probewohnung einen Hauseingang weiter“, erklärt Schneuing. Diese verfügt über eine eigene Küche und die Klienten können dort testen, wie es ist, wieder einen eigenen Haushalt zu führen. „Das war für mich eine gute Chance“, sagt Sören W. Und ein erfolgreicher Zwischenschritt auf dem Weg zurück in die eigene Wohnung.

WohnRäume Plus ist eine Anschlussperspektive

Das Danach gestaltet sich angesichts Wohnraumknappheit oft schwierig. Aber das Team der Pension Plus ist in der Stadt gut vernetzt. Manche Klienten konnten eine Wohnung in der Nähe beziehen, andere finden eine Anschlussperspektive in betreuten Wohnformen oder in WohnRäume Plus. Vor drei Jahren ist aus der Pension Plus heraus das Wohnangebot an der Teichsheide entstanden. Das Angebot des intensiv ambulant betreuten Wohnens für Menschen mit psychischen Erkrankungen und / oder besonderen Hilfebedarfen bietet ihnen in elf Wohneinheiten samt Gemeinschaftsraum mit Küche ein dauerhaftes Zuhause.

Sören W. lebt seit einigen Wochen wieder in seinen eigenen vier Wänden in einer kleinen Wohnung an der Apfelstraße – „ein großer Glücksgriff für mich!“ Dass das für ihn einmal wieder möglich sein würde? „Daran habe ich nicht geglaubt. Ich dachte, das wäre aussichtlos. Schon allein wegen meiner Mietschulden.“ In der eigenen Wohnung wird er weiterhin vom Team der Pension Plus betreut. „Es ist schön zu wissen, dass ich es weiterhin an meiner Seite habe und ich mir Hilfe holen kann, wenn ich sie brauche.“

Bald steht ein Termin beim Gesundheitsamt an, dann soll seine Erwerbsfähigkeit festgestellt werden. „Danach möchte ich schauen, was in Sachen Arbeit möglich ist.“ Sören W. blickt zuversichtlich in die nahe Zukunft. „Den Kopf in den Sand zu stecken, ist ja auch keine Lösung."

 

Markus Schneuing und Kollegin Victoria Heidbreder stehen in der Gemeinschaftsküche der Pension Plus.

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